Die Fähigkeit, „wir“ zu sagen

Shownotes

Frank-Walter Steinmeier, geboren 1956 in Detmold, seit 2017 Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Aus Anlass von 75 Jahren Bundesrepublik erschien 2024 sein Essay „Wir“ im Suhrkamp Verlag.

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00:00:00: Die Fähigkeit, wir zu sagen, zum hundertfünfzigsten Geburtstag von Konrad Adenauer, von Frank Walter Steinmeier.

00:00:10: Vor bald siebzig Jahren hielt in Andernach der erste Kanzler unserer Republik seine Rede aus Anlass der Vereidigung der ersten Soldaten der Bundeswehr.

00:00:20: Als ich diesen Herbst meinen Amtssitz für drei Tage in die Stadt am Rhein verlegt habe, Die siebzehnte meiner Ortszeiten in ganz Deutschland war der Besuch am historischen Ort der Bundeswehrgründung Pflichtprogramm.

00:00:35: Mit dem Faximile jener Rede in der Traditionsbaracke der Karnenberg-Kaserne vor Augen wurde mir einmal mehr klar wie bedeutend und wie aktuell das politische Erbe von Konrad Adenauer für unser Land gerade heute ist.

00:00:50: Mit Konrad Adenauers Kanzlerjahren verbinden wir nicht nur politische Klugheit und Durchsetzungsstärke, Er prägte darüber hinaus die Ausgestaltung der bundesrepublikanischen Verfassungsordnung in einer Zeit, als das Grundgesetz jung war, noch unerprobt und sich noch keine Staatspraxis der Nachkriegsdemokratie etabliert hatte.

00:01:10: Die Belastungen des Neuanfangs waren riesig, schier untragbar.

00:01:15: Ein Land, das buchstäblich in Trümmern lag, eine Bevölkerung ohne politischen Kompass nach den Verserungen des zurückschlagenden Krieges, und nach der Katastrophe totalitärer Diktatur, die von außen niedergekämpft und besiegt werden musste, eine Nation, die ihren moralischen Kredit restlos verspielt zu haben schien.

00:01:34: Gerade zu geächtet von den Opfern des Nationalsozialismus, den Überlebenden des Holocaust, von denen, die von deutschen Besatzungen und Vernichtungskrieg heimgesucht worden waren.

00:01:46: In dieser Zeit hinein ragt die Orientierungskraft Adenauers als das unverzichtbare Momentum des beinahe unglaublichen Erfolgs der Bundesrepublik.

00:01:55: Adenauers an der Nachrede ist so bemerkenswert, weil sie eine der strittigsten seiner Weichenstellungen dokumentiert, die Wiederbewaffnung, verbunden mit der Einbindung in das westliche Bündnis.

00:02:07: Die Bundesrepublik ist über diese und andere große Streitfragen ihrer Gründungszeit nicht zerbrochen.

00:02:14: Sie ist daran gewachsen.

00:02:15: Woran liegt das?

00:02:17: Das Ringen um die richtige Position.

00:02:21: Demokratie braucht den Streit.

00:02:23: Sie braucht aber nicht minder eine politische Kultur, die sich im Ringen um die richtige Position bewusst bleibt, dass die freiheitliche Ordnung alle Bürgerinnen und Bürger verbindet.

00:02:34: Auf unsere Fähigkeit, wir zu sagen, wenn wir streiten, können wir nicht verzichten.

00:02:40: Die Verlegung des Bundespräsidialen Amtssitzes aus Berlin in kleinere Städte unseres Landes dient einer Wiederbelebung demokratischer Streitkultur.

00:02:50: In andernach habe ich die sieben Jahrzehnte nach Adenauersrede, heute erneut hochumstrittene Frage der Werbpflicht und einer allgemeinen Pflichtzeit diskutiert.

00:03:01: Dabei war eine Frau in Uniform ebenso wie eine Friedensaktivistin.

00:03:05: Diskutiert haben sowohl politisch engagierte junge Leute, die keine Werbpflicht mehr kennen, als auch ältere Jahrgänge, die noch selbstverständlich den Wehrdienst absolviert haben.

00:03:15: Wenn wir in solchen Richtungsentscheidungen wie der Dienstpflicht unseren Weg suchen, spielen die politischen Brüche, Krisen und Bedrohungen unserer Zeit eine herausragende Rolle.

00:03:26: Dennoch helfen uns Erfahrungen, die wir Deutschen nach nineteenhundertfünfundvierzig gemacht haben.

00:03:31: Die Erinnerung an Konrad Adenauer gehört dazu.

00:03:36: Einziges Ziel der deutschen Wiederbewaffnung ist es, zur Erhaltung des Friedens beizutragen, sagte er in Andernach im Januar nineteenhundertsechsundfünfzig.

00:03:46: Die Abwehrkraft der Verbündeten müsse ein zu großes Risiko für jeden Angreifer darstellen.

00:03:52: In einer solchen militärischen Stärke, die lediglich für unsere Verteidigung ausreicht, kann niemand eine Bedrohung erblicken.

00:03:58: Ardenau, der kurz zuvor seinen achtzigsten Geburtstag begangen hatte, stand im Zenit seiner Kanzlerschaft, als er die Aufstellung westdeuter Streitkräfte durchsetzte.

00:04:09: Er bewies auch hier seine Führungsstärke angesichts harter Kritik, seine Unbeirberkeit, wo er ein Ziel vor Augen hatte.

00:04:17: Doch nicht nur das muss uns interessieren.

00:04:19: ihn bewegte vor allem die Zäsur, die dieser Moment in der deutschen Geschichte herbeiführte.

00:04:24: Es waren neue Streitkräfte, nicht die alten in neuer Uniform, wie die Kritiker argwöhnten.

00:04:31: Mit Adenauer endete die unselige Geschichte des deutschen Militarismus.

00:04:35: Und obwohl ehemalige Wehrmachtsangehörige beim Aufbau der Bundeswehr mitwirkten, bleibt es eine Tatsache?

00:04:42: Mit Adenauer beginnt die Tradition der Armee einer Demokratie, die sich, so sagt er es, gleichberechtigt im Bündnis freier Völkerweis.

00:04:52: Ardnauer hielt eine Kurze und gewiss keine pathetische Rede.

00:04:56: Er ist bekannt, wie sehr er den aufgeheizten Massenemotionen misstraute, für wie propagandaanfällig er die Deutschen hielt.

00:05:03: Zu viele hatten unter Hitler mitgeschrien.

00:05:05: Mitgetan waren in vielfältiger Weise Komplizen und Zuträger des Regimes gewesen.

00:05:11: Jedem neuen Nationalismus galt es, die nüchterne Vernunft realistischer Politik entgegenzusetzen, für die als Lehrer aus der deutschen Vergangenheit die Bundesrepublik fortanstehen sollte.

00:05:22: Das bedeutete Westbindung, NATO-Mitgliedschaft und europäische Integration anstelle von territorialem Revangismus oder deutscher Einheit ohne Recht und Freiheit.

00:05:35: Die Einheit erlebte Adenauer tatsächlich nicht, aber seine Vorhersage, sie werde, wenn man standhaft im Bündnis der Demokratienbleibe in Freiheit kommen, hat sich bewahrheitet.

00:05:46: Wachsame Bewahrung der Freiheit.

00:05:49: Je weniger selbstverständlich in unserer Zeit die politischen Errungenschaften der Ehre Adenauer werden, desto mehr Gewicht hat die Erinnerung an ihn.

00:05:58: Zu Recht, denke ich.

00:06:00: Denn je ernster die Bewährungsprobe der Bundesrepublik, desto wichtiger Adenauers Beispiel.

00:06:06: Manche Konstanten, von denen er sicher ausgehen konnte, wie das Wohlwollen und der Beistand der Vereinigten Staaten, sind heute gebrochen oder ungewiss.

00:06:16: Deshalb sprechen wir vom politischen Westen inzwischen mit Fragezeichen.

00:06:21: Doch die Gemeinschaft der freiheitlichen Demokratien, die Einheit und die Friedensordnung Europas – nicht zuletzt Schritt für Schritt die innere Befreiung der Deutschen von antidemokratischer Tradition nach nineteenhundertneunundvierzig und neunzehundertneunundachtzig – sind ein Erbe, das in unseren Händen liegt.

00:06:40: Artenauer war sicherlich ein illusionsloser Antikommunist, aber er hat auch zu den Rechtsextremisten eine unzweideutige Haltung eingenommen.

00:06:48: Anpassungswillige unter den vormaligen Funktionären des Dritten Reiches wusste er zu integrieren, in manchen Fällen zum bitteren Schmerz der Opfer des Nationalsozialismus.

00:06:58: Die Unverbesserlichen aber fanden in ihm einen harten Gegner.

00:07:02: Er hatte eine so klare historische Orientierung, dass er Verfassungsfeinden der extremen Rechten, die sich gegen die Bundesrepublik stellten, dem Neonationalismus und der Verherrlichung des NS-Regimes in Gestalt der sozialistischen Reichspartei erfolgreich den Kampf ansagte.

00:07:20: Die wachsame Bewahrung der Freiheit ist eine gemeinsame Aufgabe aller Staatsbürger.

00:07:25: Mahante Konrad Adenauer in seiner Andernacher Rede, die ich gerne wieder gelesen habe.

00:07:31: Wenn wir in diesen Wochen an seinen einhundertfünfzigsten Geburtstag erinnern, kann uns dieser einfache Satz, der so großes Gewicht hat, die Richtung anzeigen.

00:07:42: Über den Auto.

00:07:44: Frank Walter Steinmeier, geboren, neunzehnthundertsechsundfünfzig in Detmold, seit zweitausendsebzehn Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

00:07:54: Aus Anlass von fünfundsebzig Jahren Bundesrepublik erschien zweitausendzwanzig sein Essay, wir, im Surkampverlag.

00:08:03: Die politische Meinung.

00:08:05: Neutral geht gar nicht.