Die humane Möglichkeit des Gesprächs

Shownotes

Wie gelingt Verständigung in einer Zeit, in der Gespräche oft scheitern? Carsten Dutt führt in Hans-Georg Gadamers dialogische Hermeneutik ein, eine Philosophie des echten Zuhörens, die zeigt, warum menschliche Begegnung nur im Gespräch ihre Wahrheit findet. Zwischen digitaler Reizüberflutung und gesellschaftlicher Spaltung erinnert Gadamers Denken an die verletzliche, aber unverzichtbare Kunst des Dialogs.

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00:00:00: Die humane Möglichkeit des Gesprächs.

00:00:03: Gadamas Dialogische Hermeneutik heute.

00:00:05: Von Carsten Dutt.

00:00:07: Sprache ist nur im Gespräch.

00:00:10: So lautet ein gedankenweckendes Paradox, dass der Philosoph Hans-Georg Gadama zu einem festen Bestandteil seiner Reflexionen über das Menschheitsmerkmal Sprache gemacht hat.

00:00:20: Natürlich wusste der Begründer der philosophischen Hermeneutik sehr genau, dass sich der Modus Essendi, die seinsweise von Sprache und Sprachen, des deutschen etwa oder des koreanischen nicht auf ihren gesprächsweisen Vollzug ihre soziale Aktualisierung in Rede oder Schrift reduzieren lässt.

00:00:37: Als Vermögen des Menschen ebenso wie als disposizionale Struktur von je bestimmter Prägung des Deutschen hier, des koreanischen dort ist Sprache vielmehr auch eine überaktuelle Realität.

00:00:49: Virtuell, abstrakt und von normativer Kraft Der Kraft des kollektiv Eingewöhnten und nach gemeinschaftlich geteilten Maßstäben richtigen, wie es Grammatiken und Wörterbücher codifizieren.

00:01:02: Sprache hat ihr sein nicht nur im Gespräch, sondern vielmehr auch als Kompetenz und als System.

00:01:07: Indessen sind die Regelsysteme natürlicher Sprachen ihrerseits nicht invariant starre, sondern wandelbare, geschichtlich sich entwickelnde Systeme.

00:01:16: Und es ist eben das Gespräch im weitesten Sinne.

00:01:19: Der lebendige Sprachgebrauch der über die Welt und miteinander sprechenden oder schreibenden, durch den sich der Wandel der Systeme vollzieht.

00:01:28: In rieselnder Langsamkeit zumeist, bisweilen freilich auch in abrupten Schüben wie etwa beim Aufkommen neuer Wörter oder Wendungen, die sich in Windeseile massenhaft verbreiten.

00:01:38: Gardama hat also in wohlbestimmter Hinsicht recht.

00:01:41: Auch als Sprachgebrauchsorientierendes Regelsystem bleibt Sprache von ihrer faktischen Praxis umgriffen und in diesem Sinne im Gespräch.

00:01:49: Die eigentliche Point der Gesprächsempfase Gardermas ist in dessen keine historische oder metahistorische, sondern eine philosophische.

00:01:58: Nicht die wesenhafte Geschichtlichkeit der Sprache.

00:02:01: Bildet den Fluchtpunkt des eingangs zitierten Diktums, sondern ihre Kommunikativität.

00:02:06: Die schwerlich zu überschätzende und allerdings fragile Funktion, Medium interpersonalen Verstehens und interpersonaler Verständigung zu sein.

00:02:15: Es ist denn auch ein normativ gehaltvoller, an Wahrheitserkenntnis und vernünftiger Konsensbildung orientierter Begriff von Gespräch, den Gadama in seinem nineteenhundertsechzig erschienenen Hauptwerk Wahrheit und Methode und thematisch einschlägigen Arbeiten der Folgezeit entfaltet hat, so in den Aufsetzen Mensch und Sprache, nineteenhundertsechsundsechzig Sprache und Verstehen, neunzehundertsebzig oder schon vom Titel her.

00:02:43: Problembewusst und mit Hindernissen äußeren wie inneren rechnend, die Unfähigkeit zum Gespräch, neunzehnhundert, zweihundsiebzig.

00:02:52: Wie man das Sprechen verliert.

00:02:54: In diesem letzt genannten Essay, der sich wie die anderen auch in Band zwei seiner gesammelten Werke nachlesen lässt, identifiziert Gadamer viele Jahrzehnte vor den medientechnologisch induzierten Kalamitäten unserer Zeit, objektive gesellschaftliche Umstände.

00:03:08: Durch die man das Sprechen verlieren kann, das Sprechen nämlich dass zu jemandem sprechen ist und auf jemanden antworten ist und dass wir ein Gespräch nennen.

00:03:17: Man könne sich, so schreibt er, einen Fortschritt der Technik ausmalen.

00:03:22: Bei dem man sozusagen eine Brille aufhat, durch die man nicht mehr hindurch sieht, sondern fernsehen sieht.

00:03:29: Etwa, wie man manchmal jemanden durch den Odenwald wandern und dabei den wohlvertrauten Klängen und Schlagern lauschen sieht, die er in einem Transistorgerät mit sich spazieren trägt.

00:03:39: Dass die so Unter den Vorstellungsbedingungen der frühen nineteenhundertsiebziger Jahre noch gleichsam idyllisch eingehegte Dystopie des Mediensolipsismus inzwischen in Gestalt von VR-Brillen käufliche Wirklichkeit geworden ist und das andere weniger immersive, aber kaum weniger solipsistische Formen der Medien- und Gerätennutzung durchweg zur Schwächung und nicht etwa zur Stärkung unserer Gesprächsfähigkeit beitragen wissen wir.

00:04:05: Wir wissen ferner, dass die Abfackelung von Meinungen samt der hinzugehörigen Effekt Stöße auf X und anderen Plattformen in den allerwenigsten Fällen zu Initialzügen ernsthafter Wechselrede geschweige denn gründlicher Auseinandersetzung werden und dass die kommunikationstechnische Dominanz der Emission und Konsumtion winziger Zeichenmengen nicht nur zur Schrumpfung von Aufmerksamkeitsspannen, zur oberflächlichen Textverarbeitung und zum progressiven Verlust von Lesekompetenz führt, sondern auch mit der Zementierung von Filterblasen und Echokammern einhergeht, in denen ja gerade nicht Gespräche geführt, sondern in Eisernem schon verständigt sein kollektive Monologe exekutiert werden.

00:04:46: Verwilderte Redewelt.

00:04:47: Auch zur socio-epistemischen und sociomoralischen Pathologie solcher Echokammern lässt sich aus gadamas Text die Unfähigkeit zum Gespräch bedenkenswertes zitieren.

00:04:58: nur der überhört oder hört falsch, der sich selbst ständig zuhört, dessen Ohr gleichsam so erfüllt ist von dem Zuspruch, den er sich selbst ständig zuspricht, indem er seine Antriebe und Interessen verfolgt, dass er den anderen nicht zu hören vermag.

00:05:14: Als Verlautbarungen eines weisen Propheten gegenwärtiger Missstände sollte man Gardermas Beiträge zur Philosophie des Gesprächs in dessen doch nur in zweiter Linie lesen.

00:05:25: Wichtiger als die ihnen beigemischten Warnrufe, von denen sich inzwischen nicht wenige erfüllt oder sogar übererfüllt haben, sind gerade heute die positiven, konstruktiven Intuitionen für die Gardermas-Dialog Hermeneutik in resilientem Optimismus wirbt.

00:05:40: Normativ unveräußerliche Erinnerungen, wie man sie wohl nennen darf, an die humane Möglichkeit des Gesprächs.

00:05:47: In ihrem gesellschaftlichen Fortbestand und ihrer noch so bescheidenen, gewiss allemal vorläufigen und auf das immense Ganze der Massenmedial überformten und sozialmedial verwilderten Rede und Handlungswelt, gesehen je und je inselhaft begrenzten Verwirklichung hat Gadama, auch hierhin Humanist, die eigentliche Erhebung des Menschen zur Humanität gesehen.

00:06:09: Selbst an handfesten Verhandlungsgesprächen lasse sich das Prinzip dieser Erhebung begreifen.

00:06:14: anhand der Gegenseitigkeit der Beteiligten nämlich und ihres zunächst rein Formalen durch den bloßen Eintritt in das Interaktionsformat selbst signalisierten Willens zur Erkundung von Ausgleichs- und Einigungsmöglichkeiten.

00:06:29: Die Begegnung mit dem anderen erhebt selbst da über die eigene Begrenztheit, wo es nur um Dollars oder um Machtinteressen geht.

00:06:37: Dass freilich die dialogische Transgression eigener Begrenztheit neben ihrer institutionellen oder quasi institutionellen Außenseite.

00:06:45: Man setzt sich da und dort für die und die Zeit unter dieser oder jener Gesprächsagenda zusammen.

00:06:51: eine epistemisch wie ethisch praktisch anspruchsvolle Innenseite hat, das Verhandlungsgespräche und Mutates Mutandis alle Formen und Formate dialogischer Interaktion vom wissenschaftlichen Fachgespräch bis zum politischen Streitgespräch.

00:07:05: Nur durch Personen, ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und Haltungen mit Sinn erfüllt und lebenspraktisch fruchtbar gemacht werden können, führt auf das vielleicht tiefste Thema der gadamischen Philosophie des Gesprächs, auf das Erfordernis, sich im Umgang mit anderen allererst selbst gesprächsbereit und gesprächstauglich zu machen.

00:07:24: An der Spitze, der ihrerseits mannigfachen Erfordernisse, die sich aus diesem Basalen und gerade in seinem Subjektbezug objektiven Anspruch ergeben, steht nach Gadamer die Sachlichkeit.

00:07:36: Der elementare Sinn für das, was ist, was in Rede und auf dem Spiel steht.

00:07:41: Im prosalischen Beispielfall wirtschaftlicher oder politischer Verhandlungen etwa die wirklichen Interessen des anderen, die den eigenen Interessen entgegenstehen und die doch richtig wahrgenommen vielleicht Möglichkeiten des Sichtzusammenfindens enthalten.

00:07:56: An den Ergebnissen der Verhandlungskunst erfolgreicher Geschäftsleute und Politiker, die sogar der Barrikaden zu überwinden wussten, sei dies exemplarisch abzulesen.

00:08:05: Überwindung von Barrikaden und Blockierungen.

00:08:08: Nun liegen allerdings Barrikaden, die dialogisch notwendiges Verstehen und ipsofaktodiologische Verständigung verhindern, oft genug gar nicht in anderen, sondern in uns selbst.

00:08:20: Ein universal taugliches Rezept für die Überwindung dieser Inneren, sozusagen erstpersönlichen Barrikaden und Blockierungen, gibt es bekanntlich nicht.

00:08:30: Und es findet sich auch bei Gardermann nicht.

00:08:32: Vielmehr sind es durchaus altmodische, dabei gänzlich unveraltete Appelle an einschlägige Tugenden, die er an dieser Stelle in seine Überlegungen eintreten lässt.

00:08:42: Den Appellangerechtigkeit und Geduld, an Sympathie und Toleranz sowie an das unbedingte Vertrauen auf die Vernunft, die unser aller Teil ist.

00:08:52: Was dialogische Vernunft mindestens erheischt, hat Gadama wiederum merksatzhaft bündig in die Kennzeichnung und Empfehlung einer metakommunikativen Haltung zusammengezogen, die man wohl ebenfalls als eine Tugend ansprechen darf, weil sie fallibilistisch und in diesem Sinne demütig mit der Möglichkeit rechnet, in Gesprächen gegen andere Unrecht zu haben.

00:09:14: Wir müssen den anderen und das andere achten.

00:09:17: Dazu gehört, wir müssen lernen, Unrecht haben zu können.

00:09:21: Damit wir gegen andere, ihre Wahrheits- und sonstigen Geltungsansprüche, ihre theoretischen Behauptungen oder praktischen Forderungen, unrecht haben können, müssen diese anderen freilich ihrerseits gegen uns recht haben und recht erforderlichenfalls auch erlangen können.

00:09:37: Dies wiederum heißt, es müssen Verständigungsverhältnisse herrschen, in deren politischer Liberalität und intellektueller Solidität sie, die anderen, wirklich zu Wort und nicht etwa nur zu Schlagworten oder digitalem Geschrei, kommen können, in denen sich die Artikulation ihrer Anliegen, ihrer Argumente und weiter ausgreifenden Argumentationen in Ruhe entfalten und als dann auch in Ruhe von uns oder dazu befugten Dritten erwogen, sachgemäß geprüft und beurteilt werden kann, in denen Einwände oder Widerspruch, Ergänzung oder Zustimmung zum Zugekommen können, um in geduldig fortgesetzten statt vor schnell abgebrochenen Gesprächen nach und nach zu einer gemeinsamen Sprache zu führen.

00:10:20: Und schließlich, wie Gardama dies sehr schön mit einer juridisch getönten Metapher auszudrücken pflegte, auch zu einem gemeinsamen Spruch.

00:10:29: Unter diesen heute alles andere als Garantierten von mancherlei technischen und siddlichen Faktoren bedrohten, doch noch immer erreichbaren Bedingungen können Gespräche, in denen Sprache belangvoll ist, humane Gespräche sein.

00:10:42: Über den Autor Carsten Dutt, geboren, Präsident der Hans-Georg-Gaderma-Gesellschaft für Hermeneutische Philosophie.

00:10:53: Geschäftsführender, Herausgeber der Zeitschrift Archiv für Begriffsgeschichte und außerplanmäßiger Professor für Philosophie, Technische Universität Darmstadt.

00:11:04: Die politische Meinung.

00:11:06: Neutral geht gar nicht.