Vergeltung oder Versöhnung

Shownotes

Vergeltung oder Versöhnung – Rache, Trauma und Verwandlung in Puccinis „Turandot“
Rache ist ein uraltes Gefühl und oft ein Teufelskreis. Vera King und Konrad Kuhn erkunden anhand von Puccinis „Turandot“, wie sich Vergeltung in Verständnis und Mitgefühl verwandeln kann. Zwischen Trauma, Schuld und der Sehnsucht nach Menschlichkeit zeigt die Oper, wie schwer es ist zu vergeben. Und warum es dennoch der einzige Weg aus der endlosen Wiederholung von Schmerz ist.

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00:00:00: Vergeltung oder Versöhnung.

00:00:03: Rachegefühle und ihre Verwandlung am Beispiel von Puccinis tun dann dort, von Vera King und Konrad Kuhn.

00:00:12: Erlittenesunrecht und Verletzungen ziehen oft Vergeltungswünsche nach sich, allerdings mit der für Täter und Opfer tragischen Tendenz zur Unabschließbarkeit.

00:00:21: Kreisläufe von Angriff und Rache, teils verpönt und gleichwohl wirksam, sind typischerweise schwer zu unterbrechen.

00:00:29: Um Möglichkeiten konstruktiver Konfliktlösung auszuloten, müssen die damit verknüpften Herausforderungen in ihrer vielschichtigen sozialen und psychisch effektiven Dynamik erhält werden.

00:00:40: Wichtige Ansatzpunkte bietet etwa der französische Philosoph Paul Ricœre, der den Fragen nachging, ob und wie Versöhnung auch angesichts von schmerzlichem Leiden und Traumata angemessen und möglich ist.

00:00:53: Wie sich ein tragfähiges Verzeihen unterscheidet von oberflächlicher Bagatellisierung oder Verleugnung von Schuld und Schmerz.

00:01:00: In teils archaischmeichenhaft wirkender und zugleich psychologisch subtiler Gestalt bildet sich solches Ringen beispielhaft in Giacomo Pocinis' Opa Turandort ab, in der die Titelfigur und die scheinbar unverrückbare Logik ihres Handelns sowohl Verletzung als auch ewige Rache gerade zu verkörpern und in der es doch auch um die Kunst der Versöhnung geht.

00:01:22: In der Oper erlebt sich Turan Dort eine traumatisierte junge Frau in einer Vergangenheit, die nicht vergehen will.

00:01:29: Und um sich für Gewalt und Leiden zu rächen, stellt sie jedem Bewerber, der sich ihr zu nähern sucht, tödliche Rätsel.

00:01:36: So auch dem unbekannten Prinzen Kalaf.

00:01:40: In der dramatischen und musikalischen Gestaltung der Oper werden, zunächst widerstrebend, Ansätze einer Wandlung spürbar, die auf Mitfühlen, Trauer und Verzeihen basieren, somit den Raum der Möglichkeiten erweitern.

00:01:52: Das Gedächtnis der Rache verändert sich.

00:01:55: Gedächtnis der Rache stillstehende Zeit.

00:01:59: Rikör verknüpft Gedächtnis mit dem geschichtlichen Bewusstsein, das sich nicht auf die bloß chronologische Dimension der Zeit reduzieren ließe.

00:02:08: Was zählt es?

00:02:09: nicht einfach eine Aufschichtung von Geschehnissen, sondern sind die bis in die gegenwärtreichenden Bedeutungen des vergangenen und damit verbundenen Festlegungen.

00:02:18: Diese gilt es zu bearbeiten, um kollektiv Spielräume für die Zukunftsgestaltung zu schaffen.

00:02:24: Rikör plädiert dafür, der Beziehung der Gegenwart zur Zukunft voran einzuräumen, in Relation zur Beziehung zur Vergangenheit.

00:02:32: Auch im Sinne einer von ihm sogenannten Therapeutik des verletzten Gedächtnisses, für die er eine basale Einsicht der Psychoanalyse aufgreift.

00:02:41: Die Wahrheit des Erinnerten kann sich, im günstigen Fall, demnach nur im Durcharbeiten derjenigen Widerstände herausstellen, die sich der realistischeren Vergegenwärtigung des Vergangenen entgegenstellen.

00:02:54: Diese verlangt insofern immer auch Trauerarbeit, Freude, die auch beinhaltet, die Unveränderbarkeit des Vergangenen zu akzeptieren, um künftig Neues zu ermöglichen.

00:03:06: Rache perpetuiere demgegenüber die Verweigerung der Trauer, das Vergangene wird konserviert.

00:03:12: Vergeltung als Lebenselixier.

00:03:16: Auch die Opa Turandort folgt einer eigensinnigen Zeitlogik.

00:03:20: Bevor die Protagonistin mit eigenen Worten auftritt, ist in der Opa bereits lange Zeit vergangen.

00:03:26: Erst wird von ihr erzählt, dann tritt sie zunächst stumm in Erscheinung.

00:03:31: Schließlich folgt Turandorts erste Arie, im zweiten Akt, in der sie ihre Ur-Szene des Leidens bebildert.

00:03:38: Eine Ahnfrau sei Schreckliches widerfahren, Schändung und Entführung.

00:03:43: Ihr schrei!

00:03:44: Er drang durch lange Ahnen rein bisher zu mir und füllt nun meine Seele.

00:03:50: Turan dort vergegenwärtig den Schrei.

00:03:53: Der zeitlos unverändert ihre Seelefülle, den sie als Auftrag erlebt und der ihre Identität markiert.

00:04:01: Ich bin die Recherin, die alle zerstört.

00:04:03: Ich bin die, die niemand berühren wird.

00:04:06: So die unmissverständliche Setzung.

00:04:09: Nichts anderes als diese radikale Verneinung gilt.

00:04:12: Nichts anderes macht sie offenbar aus.

00:04:15: Hört man Turan, doch Zerzählungen wiederum wie eine von eigener, unaussprechlich traumatischer Erfahrung gezeichnete, so dient die grausame Inszenierung der Rätselprobe.

00:04:24: Jeder Bewerber, der das Rätsel nicht löst, wird geköpft, als bollwergigen, eigene, abgründige Ängste.

00:04:32: Die immer neu wiederholte Hinrichtung all jener Prinzen wird zur Rehinszenierung einer nach außen gewendeten Erfahrung des ausgelöscht worden seins.

00:04:40: Exerziert an all denen, die ihr Rätsel nicht beantworten.

00:04:44: Psychologisch betrachtet, lässt sich die Geschichte der Urahnen auch wie ein gewähltes Trauma verstehen.

00:04:51: Wammig de Volkan bezeichnete damit Narrative, die ein Trauma in die ferne Vergangenheit projizieren.

00:04:57: Zugleich wird das Bild der ungerecht zum Opfer gewordenen Vorfahren auch als ewiger Urgrund und Legitimation des aktuellen Verhalten stilisiert.

00:05:05: Als Auftrag wachsam zu sein, Vergeltung zu üben und die Ehre der Geschädigten wiederherzustellen.

00:05:11: Nicht zuletzt wird damit Identität gestiftet, auch wenn sie auf tönenden Füßen steht.

00:05:16: Oftmals sind es kollektive Traumata, die in dieser Weise als kulturelle Müden dienen, aber auch individuell können Opfer-Legenden als Platzhalter für seelisch überfordern, das fungieren, um sie festzuhalten und zugleich zu distanzieren.

00:05:32: Der leere Triumph der Grandiosität.

00:05:36: In einer solchen Logik der Rache kann das Opfer zum Täter werden.

00:05:40: Das Unerträgliche wird an andere weitergegeben.

00:05:43: Die Vergeltung soll Verluste vergessen lassen und eine Barriere schaffen, gegen die Gefahr mit dem eigenen Schmerz und dem der anderen in Beruhrung zu kommen.

00:05:52: In diesem Kosmos dominiert die Spaltung in Gut und Böse, alles oder nichts, Überhöhung und Entwertung.

00:05:59: Innere Lehre und Angst vor Kontrollverlust können zwanghaft überschrieben werden, mit sich wiederholenden sadistischen Handlungen und zwanghafter Kontrolle über andere.

00:06:09: In der Oper wird Hilflosigkeit konterkariert durch ein Phantasma grandiosa rigide Herrschaft, in der nur die eine, tu dann dort, Macht über Leben und Tod all derer hat, die mit ihr in Beziehung zu treten versuchen.

00:06:23: Dazu in mächtigem Widerhall wallen die rohen Effekte und Begierden der aufgeregten Menge auf und ab.

00:06:30: Masse und Hofstadt fungieren wie Erregungen verstärkender Medien, replizieren laut und drastisch.

00:06:35: Sensationslust Unterwerfungen Brutalität.

00:06:39: Scham wird verborgen durch Verachtung, Angst vor Demütigung, vermieden durch auftrumpfende Überlegenheit.

00:06:46: Blicke, Gesten und Worte dienen nicht der Verständigung, sondern dem Verurteilen.

00:06:51: Verbindung ist im tieferen Sinne des Wortes undenkbar.

00:06:56: Verwandlung im Widerstreit.

00:06:59: Zwischen solch unheilvoll repetitiver Welt einer Reinszenierung der traumatisierten Innenwelt im Außen und zackhaften Schritten der Versöhnung Zunächst mit der eigenen Verletzlichkeit bis hin zur Sehnsucht nach dem anderen als einem erstmals benennbaren möglichen Empfinden bewegt sich aus dieser Perspektive die Oper.

00:07:18: Von einer geschichtete Stillstands voller Qualen hin zu einem Ringen um Veränderung dargestellt als zwischenmenschliche und innere Kämpfe.

00:07:27: Bei Prinz Calaf dominiert lange Zeit sein Begehren der Erste und Einzige zu sein, der glorreich das Rätsel löst.

00:07:34: Doch um zu siegen muss er Touran dort verstehen.

00:07:37: Der erste Schritt?

00:07:39: Die Fähigkeit, das Rätsel zu lösen, ist Ausdruck einer identifikatorischen Nähe.

00:07:44: Kala fließt die verborgenen Wünsche und versteht Turandort's Ambivalenz.

00:07:48: Er erräht nicht einfach die richtigen Worte, wo der Siegt durch Schlauheit.

00:07:53: Vielmehr kann er die drei Rätsel lösen.

00:07:55: Hoffnung, Blut und Turandort lauten die richtigen Lösungen.

00:08:00: Indem er sich in sich hineinversetzt, Wunsch und Leiden erspürt, seine eigenen Gefühle als Richtschnur nimmt.

00:08:07: Damit bietet Calaf der Rätselstellerin Turandot eine Deutung ihrer Selbst.

00:08:12: In seiner Rätselösung kann sie sich selbst zum ersten Mal erkennen.

00:08:16: Turandots festgefügte Muster werden dadurch erschüttert.

00:08:19: Zugleich richtet sie neue Widerstände auf.

00:08:22: Calaf geht einen weiteren Schritt und liefert sich aus, doch immer noch in der Selbstgewissheit des Sieges.

00:08:28: Erst im Angesicht des Liebesopfers einer Dritten, Leo, und der Authentizität ihres Fühlens und Verzeihens deutet sich eine weiterreichende atmosphärische Wendung an.

00:08:38: Neue Schuld, aber auch erstmals spürbare Schuld und Vergebensfähigkeit.

00:08:44: Die Lust am grausamen Weich der Reue, Trauer, Schuld und Scham sind Zeichen einer ersten Hinwendung zur Wirklichkeit.

00:08:52: Die sich bis dahin als göttlich körperlos imaginierende Prinzessin beginnt sich neu zu spüren.

00:08:59: Kala fied darum, der ihr seinerseits das Rätsel aufgegeben hatte, seinen Namen zu erraten, verzichtet auf den Sieg.

00:09:05: Er selbst enthüllt ihr seine Identität und liefert sich Turandot damit aus.

00:09:11: So deutet sich zum Ende hin eine Fähigkeit an, dem fühlen eine lange geschmiedene Bedeutung zu geben.

00:09:18: Sein Name ist Liebe verkündet Turandot kurz bevor der Vorhang fällt.

00:09:23: Zumindest klingt durch Intonation des Erhoften und doch unerwarteten die Möglichkeit eines versöhnenden Bezugs zum anderen an, der eine Öffnung zum Unbekannten hin riskiert.

00:09:34: Schweres Verzeihen Was bedeutet also Versöhnung?

00:09:39: Ricke grenzt das leichte Verzeihen oder gar eskapistisches Vergessen vom schweren Verzeihen ab.

00:09:46: Leichtes Verzeihen bedeutet nichts anderes als eine Masquerade.

00:09:50: Es bleibt oberflächlich selbstgefällig oder instrumentell.

00:09:54: Demgegenüber setzt das schwere Verzeilen psychische Arbeit voraus, ein Durcharbeiten von Widerständen.

00:10:00: Als Vergebung beinhaltet es im Kern eine Gabe, eine Großzügigkeit, die nicht auf simplem Tausch und instrumentellen Beziehungen basiert, während derjenige dem Verziehenwirt anzunehmen lernen müsse, im Sinne seiner Fähigkeit zur Dankbarkeit, die wie die Gabe psychisch voraussetzungsvoll ist.

00:10:18: Versöhnung vollzieht sich damit jenseits der erwarteten Reziprozität von Gabe und Gegengabe.

00:10:24: Jenseits des, ich gebe, weil du gibst.

00:10:27: Die Spiegelbildlich nichts anderes ist als die Logik der Rache des, wie du mir so ich dir.

00:10:33: Schweres Verzeihen geht darüber hinaus.

00:10:36: Es nimmt die Tragik oft unaufflöslich scheinender Konflikt der Ernst und versucht zugleich praktisch, die Knoten zu entwirren, um mit der infernalischen Logik einer von Generation zu Generation wiederholten Rache zu brechen, wie sie etwa zum Auftakt des Dramas besprochen wird.

00:10:52: Nur dann werde möglich, dass die Vergangenheit, die nicht vergehen will, aufhört, die Gegenwart zu verfolgen.

00:11:00: Das große Rätsel Turan dort tritt im dramatischen Ablauf der Oper lange Zeit nur als Bild und festgefügtes Phantasmer anderer Inerscheinung.

00:11:11: Auch in ihrem Selbstbild ist sie kein Menschenwesen, sondern Tochter des Himmels, wie sie sagt, eine Prinzessin, die sich für immer hinter grausamer Vergeltung verbarrikadieren möchte.

00:11:21: bis sie es wagt, verletzlich und endlich zu sein.

00:11:25: In diesem Sinne geht es um einen Prozess der Humanisierung, um ein Geborenwerden als Mensch, der eine eigene Geschichte und Zukunft hat.

00:11:33: Bis dahin blieb sich Turandot selbst ein Rätsel, selbst Überhöhung, und das Zwangsystem gewaltiger Kontrolle überdeckten die Angst.

00:11:42: Selbsttäuschungen werden nur wieder strebend aufgegeben.

00:11:46: Beide begegnen sich zunächst in einer hochgerüsteten Form.

00:11:49: Turandots ewige Rache.

00:11:51: und mörderische Zurückweisung, Kalafs unbedingter Liebe zu etwas, das er noch gar nicht kennt und die insofern projektiv und selbstbezüglich bleibt.

00:12:01: Auch Kalaf durchläuft eine Veränderung, von dem, der um jeden Preis erobern will, hin zu jemandem, der versteht und etwas von sich gibt.

00:12:09: Die Oper bildet dieses ringenden, allen Schattierungen ab, insofern das verändernde und versöhnende Potenzial der Kunst entfaltend, das Rikör betont, wenn er schreibt, dass das, was wir Subjekten nennen, niemals am Anfang gegeben ist.

00:12:22: Während des tätische Erfahrungen dazu beitragen kann, über projektive Bespiegelung hinauszukommen, womöglich geben und vergeben zu können.

00:12:31: So vervielfältigt sich hier der Theodor We.

00:12:34: Adorno-Beton der Rätsel-Charakter der Kunst in der Figur des Rätsels das Lösung verlangt.

00:12:39: Erlösung verspricht.

00:12:41: Aber zugleich immer neue Suche in Gang setzt.

00:12:45: Wenn auch das Kunstwerk das größte Rätsel ist, so Joseph Boyce, ist auch in dieser Geschichte, wie beim dreigeliedrigen Rätsel des Finks, die Lösung der Mensch.

00:13:16: Konrad Kuhn, Dramaturg, unter anderem an den Staatsopern in Berlin und Wien, bei den Salzburger und den Bayreuther Festspielen sowie seit twenty-fünfzehn an der Oper Frankfurt.

00:13:28: Gelesen von David Endres.

00:13:30: Die politische Meinung.

00:13:32: Neutral geht gar nicht.

00:13:38: Ein Audio-Podcast der Konrad Adenauer Stiftung.