Die neue Härte

Shownotes

Die Gesellschaft sucht Nähe und verliert ihr Mitgefühl. Ralf Konersmann beschreibt, wie der Ruf nach Gemeinschaft die Sprache verändert und neue Ausgrenzungen schafft. Wo einst Verständnis und Achtsamkeit zählten, herrscht heute das Bedürfnis nach Abgrenzung und moralischer Reinheit. Ein Essay über die unmerkliche Verrohung des Wir und die Macht der Worte, die trennen, statt zu verbinden.

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00:00:00: Die neue Härte.

00:00:02: Wie die Beschwörungen der Gemeinschaft die Sprache verändern.

00:00:05: Von Ralf Konnassmann.

00:00:08: Wer wissen will, was die Herzen der Menschen bewegt, ist gut beraten, sich in den Ratgeberabteilungen der Buchläden umzusehen.

00:00:16: Aufallend stark sind derzeit sozial-psychologische Titel nachgefragt, die das Problem aufwerfen, wie man mit ungeliebten Menschen klar kommt.

00:00:25: Konkret lautet die Frage, wie man es anstellt, diese Leute auf Abstand zu halten und sie, ohne sich die Finger schmutzig zu machen, aus der eigenen Umgebung zu verbannen.

00:00:34: Die Spitzentitel dieses Themenkreises sprechen eine deutliche Sprache.

00:00:37: Auf dem Bestsellerrängen halten sich Schriften, die geradewegs die Psychopathen des Alltags aufs Korn nehmen und auch wissen, wie man sich ihrer erwehrt.

00:00:46: Sie kennen die Mittel und Wege wie, so woutlich, Heilung aus toxischen Beziehungen möglich ist.

00:00:51: und erklären im genretypischen Ton der Vertraulichkeit, wie du Menschen loswirst, die dir nicht gut tun.

00:00:58: Ein weiterer Titel, der seit Monaten oben auf der Rangliste steht, bringt die Stoßrichtung all dieser Weisungen und Tipps auf den Punkt.

00:01:05: Gesunder Umgang mit toxischen Menschen.

00:01:09: Mit toxischen Menschen?

00:01:12: Mit den Psychopathen des Alltags?

00:01:15: Wörter wie diese fällen soziale, de facto also vernichtende Urteile.

00:01:20: Die Frage, ob denjenigen, die so reden und durch der Art ihres Redens handeln, die Bedeutung der Wörter bewusst ist, erübrigt sich.

00:01:27: Das Aufkommen und mehr noch die Akzeptanz dieser Sprache, die direkt auf die Herzen zielt, ist von einem Mentalitätswechsel getragen, von einem tiefen Verlangen nach klaren Vorgaben, das die Gesellschaft als ganze erfasst zu haben scheint.

00:01:40: Plötzlich geht es nicht mehr darum, die irgendwie schwierigen und zuweilen auch schwer erträglichen, trotz allem zu verstehen, sich um sie zu kümmern.

00:01:49: und sie, wie das bürokratische Equivalent lautete, zu inkludieren.

00:01:54: Die Sprache der Ratgeber weist in eine andere Richtung.

00:01:57: Die Sorge, die eben noch den problematischen Naturung galt, wird zurückgelenkt und nun unmittelbar dem Erschöpften selbst zugeleitet.

00:02:05: Dem selbst, dass das Altruismus müder ist und jene anderen, die passend dazu als Psychopathen und toxische Menschen abgetan sind, nur noch los werden will.

00:02:15: Der Entlastungseffekt, den sprachliche Entscheidungen wie dieser auslösen, ist beachtlich.

00:02:20: Auf die stets ein wenig betuliche Achtsamkeit, die gerade noch als zeitgemäße Kartinaltubengalt, antwortet die neue Unbedenklichkeit mit einer neuen Härte.

00:02:30: Soziale Dessense, so lautet nunmehr die Devise, müssen nicht länger ertragen und schon gar nicht ausgetragen werden.

00:02:36: Sie dürfen bei Seite geschoben werden.

00:02:38: Ein Standardmotiv der Ratgeber Prosa.

00:02:41: Mutig aus der Welt geschafft werden.

00:02:43: Ende des Streits und Ende der Diskussion.

00:02:46: Die Texte dieser Genres sind in vieler Hinsicht interessante Mentalitäts- und Ideengeschichtlich-Aufschlussreiche jedoch viel zu wenig beachtete Quellen.

00:02:55: Unbekümmert um Theorie-Debatten oder historische Vertiefungen vollziehen diese Texte sprachliche Veränderungen nach, die sich normalerweise im Verborgenen abspielen, in der Welt des Tuschelns und Tratschens, und machen sie gesellschaftsfähig.

00:03:09: Ratgeber sprechen im Präsens, im Gewissheitston des endlich gerade herausgesprochenen, genau so ist es.

00:03:17: Proklamation des Wir.

00:03:20: Ihre Lektüre ist denn auch die Gelegenheit, sich, wie die Chagorwendung lautet, ehrlich zu machen.

00:03:27: Dem Vorbild der Werbung und der Populärkultur folgend wenden sie sich an das Gefühl und laden dazu ein, einfach mitzumachen und sich einzureihen.

00:03:35: Dass ich das hier ansprechen, soll sich als eines von vielen erkennen.

00:03:40: Als Teil einer Gemeinschaft der Betroffenen und Dank der Ratgeber nun endlich auch entschlossenen.

00:03:46: Nicht, ob etwas wahr oder richtig ist, gibt hier den Ausschlag, sondern die Zwiesprache mit dem Zeitgeist.

00:03:51: Das Kriterium der Bewahrheitung ist ein soziales, die Gestimmtheit all derer, die mitfühlen und bereit sind, die Sache genauso zu sehen.

00:03:59: Mit dieser Pointe kommt eine Größe ins Spiel, die als stiller Gast die Sätze der Radwissenden begleitet, ohne direkt in Erscheinung treten zu müssen.

00:04:07: Die Autorität, die diese Texte beanspruchen, und die ihnen, sofern die Verkaufszahlen nicht trügen, anstandslos zugestanden wird, verdankt sich dem erfolgreich geweckten Eindruck, in vollem Einvernehmen mit der verbreiteten Stimmungslage zu sprechen.

00:04:20: Im Einvernehmen mit dem großen Vier.

00:04:23: Dieses große, über die Macht der Bewahrheitung gebietende Vier ist eine Instanz, die über das kleine Vier der Nahbereiche, über den Kreis der Verwandtschaft, Freundschaften und Nachbarschaften weit hinausgreift.

00:04:36: Derart emporgehoben und prominent gesetzt verbindet sich mit dieser Instanz das Versprechen, der ewig anstrengenden, komplizierten und von Krisen und Konflikten gezeichneten Realität der Moderne, die Einfachheit einer intakten und von authentischen Gefühlen getragenen Gemeinschaft gegenüberzustellen.

00:04:54: Das wir demonstriert seine Macht, indem es auf die Sprache zugreift und sie in seinem Sinn verändert.

00:05:00: Dazu zählt neben regulativen Vorgaben, wie dies oder jenes fordern zu formulieren sei, auch der weniger auffällige, aber ebenso effiziente Abbau von Tabus.

00:05:11: Die Hemmungslosigkeit, mit der neuerdings Stigmatisierungsformeln wie pathologisch oder toxisch, wie nazistisch oder einfach nur rechts dahingesagt und unter die Leute gebracht werden, illustriert genau diesen Trend.

00:05:24: Gegen die Stimme des Ausgleichs.

00:05:26: Die ideologische Ladung dieser Räderweisen, dieser Suggestion eines einmütigen, von Nähe und Wärme getragenen Zusammenlebens, ist wiederholt beschrieben worden.

00:05:36: Unter dem Titel Was heißt hier wir?

00:05:39: hat Heinrich Deterring einige dieser Bedenklichkeiten zusammengetragen.

00:05:43: Der Literaturwissenschaftler erschließt, dass wir der Gemeinschaft als rhetorische Figur, als eine imaginäre und doch reale, in vielerlei Hinsicht wirksame Instanz, die entschlossen um die Meinungsführerschaft kämpft.

00:05:55: Um das, was hier und jetzt zu sagen ist, und gilt.

00:05:59: Dieses Wir zeigt Deterring, hat eine ausgeprägte Neigung zur Schwarz-Weißmalerei.

00:06:04: Opfer, Täter, Freund, Feind, wir, ihr.

00:06:07: und weiß in jeder Lage zu unterscheiden, wer die Guten, also wir und wer die Anderen sind.

00:06:14: Obwohl selbst die Fuß- und Sodetering ambivalent sind diesem Akteur, Diffusitäten und Ambivalenzen ein Kreu.

00:06:22: Das wird der Gemeinschaft emotionalisiert, stereotypisiert und skandalisiert, um sich den Leuten schon im nächsten Augenblick als Inbegriff der Geborgenheit anzubieten.

00:06:32: Als das neue Ätre Supreme Das höchste Wesen, das sich der Sorgen der Menschen annimmt und dafür nicht mehr verlangt, als dass sie ihm folgen und seine Sichtweisen teilen.

00:06:43: Der Parcours des Literaturwissenschaftlers durch die Tagespresse der letzten Jahre bietet wertvolle Aufschlüsse, hat jedoch den Mangel, sich auf die Rhetorik der parlamentarischen Rechten zu kaprizieren.

00:06:54: Die Empphasen des Wir, denen die politische Linke seit den Tagen des Jacobinismus zuneigt, seit also die Linke überhaupt zur Linken geworden ist und als solche firmiert, sind kein Thema.

00:07:05: Weit umsichtiger hat Helmut Plessner das Thema aufgegriffen als er lange Vordetering, sein Werk Grenzen der Gemeinschaft, eine Kritik des sozialen Radikalismus verfasste.

00:07:17: Demnach ist weder allein die Rechte noch die spezifische linke Anrufung des großen Vier problematisch, sondern unmittelbar die Platzierung dieser Instanz selbst.

00:07:27: Die Empphase der Gemeinschaft, so dezentrale These Plessners, unterbietet die Anforderung der Modernität.

00:07:33: Plessner definiert die Gemeinschaft, die Gemeinschaft gleich welcher Kolor, als informellen Verbund von Menschen, deren Meinung auch über den Kreis der ohnehin überzeugten hinaus aus ihrer Sicht unbestreitbar ist.

00:07:45: Auf die Bestätigung durch zählbare Mehrheiten kann die Viergemeinschaft verzichten, weil ihre Einstellung ihrem Selbstverständnis zur Folge evident ist und sie sich fraglos im Recht wehnt.

00:07:56: Das kann gelingen, weil die Gemeinschaft den Realforderungen der Gesellschaft mit Idealforderungen begegnet, deren Bewährung in einer unbestimmten Zukunft liegt.

00:08:05: Plessner verwendet für diesen Habitus das zu seiner Zeit neue, im Vorfeld des Nationalsozialismus aufgekommene Attribut aktivistisch.

00:08:14: Der Elan der aktivistischen Wir-Gemeinschaft richtet sich, so Plessner, gegen alles Bedingte und Begrenzte, gegen die Stimme des Ausgleichs.

00:08:23: Entsprechend scharf ist sein Rhetorik.

00:08:25: Dem großen Wir der Gemeinschaft ist nicht daran gelegen, Diskussionen zu eröffnen oder sie weiterzuführen.

00:08:32: Als eine Instanz, deren Überlegenheit für sie selbst außer Zweifel steht, will das große Wir die Diskussionen beenden und seine Idealforderungen durchsetzen.

00:08:41: So wird das politische Wir schlicht aus seiner inneren Verfasstheit heraus autokratisch.

00:08:47: Zustimmungsfähigkeit und Bindung Helmut Blesner spricht von der Reaktiven Die Anforderungen der Modernität unter laufenden Faszination eines Zusammenlebens, das die anachronistische Vorstellung einer übergreifenden, organischen Bindung lebendig hält.

00:09:04: Damit ist ein Problem berührt, dass die Gesellschaften der Moderne bis heute begleitet.

00:09:08: Bereits die schottischen Aufkläre des achzehnten Jahrhunderts haben den klassischen Begriff des Sensus comunis, des Gemeinsins neu gefasst und ihm eine gesellschaftspolitische Dimension erschlossen.

00:09:19: Während der Common Sense hierzulande als ein dem Verstandeswesen menschgegebenes geistig sinnliches Vermögen verstanden wurde, als anthropologische Grunderstattung, wiesen der schottische Philosoph Thomas Reed und seine Mitstarreiter daraufhin, dass staatliches Handeln, sobald es nicht mehr von überweltlichen Mächten legitimiert ist, unabhängig von den Aussorgen der Wissenschaft oder des Rechts zustimmungsfähig sein muss.

00:09:44: Als Organ dieser Zustimmung bestimmten die Aufklärer den Common Sense.

00:09:49: Angesichts der Labilität, die sich derzeit in den westlichen Gesellschaften bemerkbar macht, spricht der französische Politologe Pierre-Rossain Wallon heute von der Vertrauenswürdigkeit einer durch sich selbst und nicht erst durch förmliche Anerkennung oder den nachweis der Funktion gerechtfertigten Ordnung.

00:10:07: Das politische Vier tut sich allerdings schwer damit, der Repräsentant einer solchen Ordnung zu sein, die sich das Vertrauen der Bürger verdienen will.

00:10:15: In dem Maße, wie es sich Geldung verschafft.

00:10:17: entwickelt es, die fatale Neigung sich exklusiv zu setzen, Feindbilder zu pflegen und überhaupt alles, was das menschliche Zusammenleben betrifft, in seinem Sinn zu politisieren.

00:10:28: Allein aufgrund seiner Konstitution und im strikten Gegensatz zu den Intentionen der Aufklärer wird das große Vier illiberal.

00:10:37: Statt offen zu streiten und klug zu verteidigen, was der Verteidigung wert wäre, will es verbieten und ausschließen, wozu ihm nichts einfällt.

00:10:45: mag sein, dass auch und gerade liberale Gesellschaften auf so etwas wie das große Wir als der gleichsam zeitgemäßen Version des Kommonsens angewiesen sind.

00:10:54: Um dieser Tradition und ihrem Anspruch zu genügen, müsste es sich allerdings selbst verändern und lernen, was ihm am schwersten fällt.

00:11:02: Zurückhaltung.

00:11:05: Über den Autor Ralf Konnassmann, geboreneutzenhundertfünfundfünfzig in Düsseldorf imeritierte Professor für Philosophie und bis- Twenty-One-Zwanzig-Direktor des philosophischen Seminars der Christian Albrechts-Universität Zuckier, Publizist und Autor zahlrecher Bücher, Essays und Föhe-Tons.

00:11:23: Zuletzt erschienen sind die Unruhe der Welt- Twenty-Fünfzehn, das Wörterbuch der Unruhe- Twenty-Sehn sowie Welt ohne Mars- Twenty-One-Zwanzig.

00:11:32: Der im Frühjahr erschienene Essay über den Außenseiter war Buch des Monats Juli im Philosophie-Magazin.

00:11:42: Die politische Meinung.

00:11:44: Neutral geht gar nicht.