Nicht hoffnungslos verloren
Shownotes
Jörg Haßler zeigt, dass TikTok keineswegs „hoffnungslos“ an extreme Parteien verloren ist. Zwar nutzt die AfD die Plattform stark, doch auch Parteien der Mitte können mit personalisierten, emotionalisierten und plattformgerechten Inhalten hohe Reichweiten erzielen – insbesondere durch eigene Themen wie Umwelt oder Außenpolitik. Wichtig sind Kreativität, Personalisierung, Nutzung von Trends und das Potenzial der Jugendorganisationen. TikTok birgt Risiken durch Intransparenz, bleibt aber ein zentrales Feld politischer Kommunikation, gerade für junge Zielgruppen.
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00:00:00: Nicht hoffnungslos verloren.
00:00:03: Wie Parteien der demokratischen Mitte auf TikTok erfolgreich sein können.
00:00:07: Von Jörg Hasler.
00:00:10: Mehr als die Hälfte, zweiundfünfzig Prozent der vierzehn bis neunundzwanzigjährigen, nutzt regelmäßig TikTok.
00:00:17: Für die Beratungsbranche Grund genug, der Politik zu empfehlen, da müssen sie sein.
00:00:22: Aber ist die Social-Media-Plattform nicht bereits an die AfD, an Bots und an die chinesischen und russischen Geheimdienste verloren?
00:00:30: Bei TikTok handelt es sich um eine Videoplattform, auf der kurze Clips hochgeladen werden.
00:00:36: Starten die Benutzer die App beginnt sofort das erste Video.
00:00:40: Ist das Video zu Ende, folgt automatisch das nächste.
00:00:43: Danach das nächste und das nächste.
00:00:47: Die angezeigten Videos stammen nicht zwangsläufig aus Kanälen, den man folgt, sondern sie werden automatisiert vom Algorithmus ausgewählt und abgespielt.
00:00:56: Dabei ist es auf der Plattform üblich bestehende Videos mit neun eigenen Videos zu kommentieren mit sogenannten Stitches.
00:01:04: Die notwendigen Werkzeuge zur Videoediterung werden in der Regel in der App bereitgestellt.
00:01:10: Diese Beschreibung mag Trivialkling, bedingt aber einige Besonderheiten für die politische Kommunikation.
00:01:16: Sie betreffen die Plattformstruktur und Algorithmen sowie die Nutzungspraxis.
00:01:21: In der wissenschaftlichen Literatur zusammenfassend als Aforences bezeichnet.
00:01:26: Diese Affordances haben einen Einfluss auf die Inhalte, die auf der Plattform funktionieren.
00:01:33: Die Plattform Struktur und die Algorithmen von TikTok zeichnen sich dadurch aus, dass Videos auch Nutzern angezeigt werden, die deren Urheber nicht folgen oder mit ihm befreundet sind.
00:01:44: Dies unterscheidet die Plattform von Instagram und Twitter X, auf denen das Uni-direktionale Folgen von Accounts üblich ist oder von Facebook, wo Bi-direktionale Netzwerke als Freundschaften angelegt werden können.
00:01:59: Während auf Facebook, Instagram und Twitter, X in der Regel große Freunde bzw.
00:02:05: Follower-Netzwerke notwendig sind, um große Reichweiten für einzelne Posts zu erzielen, können TikTok-Videos auch bei geringer Profil-Follower-Ansaal-Viralität, d.h.
00:02:14: eine große und schnelle Verbreitung, erzielen.
00:02:17: Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Plattform automatisiert Beiträge zeigt, die möglichst lange betrachtet und nicht weggeswipet wurden.
00:02:26: Je mehr Nutzer ein Video bis zum Ende ansehen, desto mehr weiteren Nutzern wird das Video auf der Startseite im Stream angezeigt.
00:02:33: Daraus lässt sich folgern, dass auf TikTok die Inhalte der Videos und deren Machart stärker belohnt werden, als das Aufbauen eines Follower-Netzwerks.
00:02:43: Reichweitenvorteile von politisch-extremen Positionen nicht Natur gegeben.
00:02:50: Unsere Datenanalysen zeigen, dass viele Accounts der AfD hohe Followerzahlen aufweisen.
00:02:55: Die Partei hat frühzeitig die Strategie ausgerufen, Social Media zu nutzen, um Gegenöffentlichkeiten aufzubauen.
00:03:02: Gleichzeitig ist die Partei damit weniger stark auf ein journalistische Medienberichterstattung angewiesen.
00:03:07: Die Affordances von TikTok legen aber wie bereits dargestellt nahe, dass das Aufbauen eines Netzwerks keine Voraussetzung für hohe Reichweiten der Videos auf TikTok ist.
00:03:18: Der letzte Bundestagswahlkampf hat vielmehr gezeigt, dass TikTok was die Reichweite betrifft, nicht Natur gegeben, eine Plattform für die AfD ist.
00:03:27: Heidi Reicheneck, Spitzenkandidatin der Partei Die Linke, hat mit ihren Videos Millionen Zuschauer erreicht.
00:03:33: Unsere Analysen zur Bundestagswahl und zur Europawahl zeigen ferner, dass auch Beiträge von Parteien aus der Mitte des politischen Spektrums größere Reichweiten erzielen können als diejenigen der politischen Extreme.
00:03:45: Daraus ergibt sich, dass sich demokratische Politiker und Parteien bei der Bewertung des Erfolgs digitaler Kommunikationsstrategien nicht von Follower-Zahlen allein beeindrucken lassen sollten.
00:03:56: Zu leicht lassen sich diese auch künstlich in die Höhe treiben.
00:03:59: Am einfachsten zum Beispiel in dem eigene Anhänger mehrere Accounts anlegen, sogenannte Sockenpuppen-Accounts und mit jedem dieser Accounts folgen, liken und kommentieren.
00:04:09: Aber auch der Kaufe von Followern ist in der Vergangenheit öffentlich geworden.
00:04:14: Bisherige Studien zum statistischen Einfluss bestimmter Beitragsmerkmale auf das Engagement der User in verschiedenen Social-Media-Kanälen haben gezeigt, dass vor allem Personalisierung, Negativität, Emotionalisierung und Populismus zu einer höheren Anzahl von Views oder Likes führen können.
00:04:31: Dies hat damit zu tun, dass auch Inhalte die Empören oder Aufwühlen zunächst die Aufmerksamkeit binden, insbesondere dann, wenn keine inhaltliche Übereinstimmung vorhanden ist.
00:04:42: Durch die Seedauer werden diese Inhalte dann trotzdem vom Algorithmus bevorzugt, weiteren neuen Nutzern ausgespielt.
00:04:50: Personalisierung der Kommunikation Aus der Eigenschaft, dass es sich bei TikTok um eine reine Videoplattform handelt, resultiert, dass sich Inhalte zuallererst in Videoform darstellen lassen müssen.
00:05:02: Die Formate können vom aufgesagten Porträtvideo bis zur Hollywoodreifenproduktion reichen.
00:05:08: Personen lassen sich vergleichsweise gut visualisieren.
00:05:10: Daher wird oftmals von einer Personalisierung der politischen Kommunikation auf Social Media ausgegangen, in deren Folge der Fokus immer weniger auf abstrakten Sachthemen liegt.
00:05:21: Dies ist aber kein Nullsummenspiel.
00:05:23: Sachthemen müssen nicht zwingend auf Kosten der Personalisierung aus der öffentlichen Kommunikation weichen.
00:05:29: Wenn Personen mit Sachthemen verknüpft werden, kann gerade die Personalisierung politischer Botschaften für Parteien der demokratischen Mitte auf TikTok ein Weg sein, um große Reichweiten zu erzählen.
00:05:40: Die Nutzungspraxis von TikTok ist durch die gegenseitige Bezugnahme aufeinander in den Videos, zum Beispiel durch Stitches, gekennzeichnet.
00:05:49: Auf Facebook, Instagram und Twitter, X, stehen sogenannte Timelines im Zentrum der Startseite der App.
00:05:56: Dort werden Posts vom Algorithmus entsprechend ihre Aktualität und Wahrscheinlichkeit, die Aufmerksamkeit des Nutzers zu binden, priorisiert.
00:06:04: Dadurch entsteht, besonders stark beispielsweise auf Twitter, X, Der Charakter eines Newstickers.
00:06:11: Auf TikTok hingegen ist die Aktualität durch die Kommentierung vorheriger Videos, Stitches, das Remixing sowie die D- und Rekontextualisierung zweitrangig.
00:06:21: Dieser kommentierende Charakter kann inhaltliche Negativität begünstigen.
00:06:25: So bevorzugt das Format zum Beispiel Kritik am politischen Gegner, in dem in den Videokommentaren dessen Videos widersprochen wird.
00:06:33: Aus liberaldemokratischer Sicht erscheint es wenig zielführend, wenn Parteien der demokratischen Mitte übermäßig auf Negativität setzen.
00:06:41: Aus bisherigen Studien wissen wir, dass Negative Campaigning, die Aufmerksamkeit des Publikums zwar wecken kann, der Strategie aber das Risiko inne wohnt, auf ihren Urheber zurückzufallen und dem Saldo eine negative Gesamtwirkung zu entfalten.
00:06:56: Es muss also abgewogen werden, in welcher Dosierung Aufmerksamkeit durch Negativität erzeugt werden soll.
00:07:02: Auch der auf Social-Media-Plattformen mit unterfunktionierende, gegen vermeintliche, elitengerechtete Populismus kann für an echten Problemlösungen interessierte politische Akteure kein dauerhaftes Mittel sein.
00:07:19: Unsere Analysen zur Bundestagswahl, und der Europawahl, legen gleichwohl nahe, dass emotionalisierende Beiträge Aufmerksamkeit erzeugen können.
00:07:30: Diese müssen nicht negativ oder populistisch sein.
00:07:33: Lustige und ironische, aber auch bedrückende Posts von Parteien der demokratischen Mitte haben in dem beiden untersuchten Wahlkämpfen mit unter höhere Reichweiten erzählt als Beiträge der AfD.
00:07:44: Schließlich stellt sich die Frage, ob es bestimmte Sachthemen gibt, die auf TikTok besonders gut funktionieren.
00:07:51: Hier muss tendenziell zwischen den einzelnen Parteien differenziert werden.
00:07:55: Die AfD setzt auf TikTok in ihren Posts am häufigsten auf das Thema Migration.
00:08:00: Gleichzeitig erzielen Posts der AfD auf TikTok im Mittel ein hohes User-Engagement.
00:08:07: Allerdings erzielen Posts der AfD, die das Thema Migration enthalten, auf der Plattform nicht überzufällig mehr User-Engagement als Shares oder Likes.
00:08:16: Auch die Anzahl der Views wird durch das Thema nicht signifikant gesteigert.
00:08:20: Ausschlaggebender ist auch für die AfD die Personalisierung, die das User-Engagement immens erhöhen kann.
00:08:27: Es wäre demnach ein Fehlschluss, aus dem TikTok-Erfolg der AfD zu schließen, man müsse auf der Plattform nur auf das Thema Migration setzen, um erfolgreich zu sein.
00:08:36: Parteien der demokratischen Mittelpunkten laut unseren Daten mit Themen wie Außenpolitik oder Umwelt- und Energiepolitik.
00:08:43: Sie sollten sich daher bei der Themesetzung auf Social Media weniger von den vermeintlichen, Plattformdynamiken und stärker von der gesellschaftlichen, lebensnahen Problemlage und ihrer eigenen Problemlösungskompetenz leiten lassen.
00:08:56: Die Parteien können hier mutig ihre eigene Agenda setzen.
00:09:00: Nichts anderes tut die AfD.
00:09:03: Eine erfolgsversprechende Kampagne auf TikTok ist daher eingebettet in die kommunikative Gesamtstrategie der Partei.
00:09:09: Betont Themen, bei denen der Partei eine hohe Problemlösungskompetenz zugeschrieben wird, personalisiert diese Themen in einem plattformtypischen Stil, setzt durchaus auch einmal auf kommentierende Spitzen und Emotionen und passt sich an die Nutzungspraxis der Plattform an, beispielsweise indem sie kommentierende Stitches einsetzt, populäre Songs verwendet oder aktuelle Trends aufgreift.
00:09:32: Potenziale in den Jugendorganisationen.
00:09:36: Zusammenfassend lässt sich aus dem Kommunikationswissenschaftlichen Forschungsstand ableiten, dass sich vermeintliche Rückstände in Follower und Aufmerksamkeitsrankings auf Social Media durch Berücksichtigung der Plattform Affordances und der Nutzungspraxis aufholen lassen, wenn eigene Themen mit beliebtem Personal verknüpft auf der Plattform emotional dargestellt werden.
00:09:56: Die Parteien der demokratischen Mitte verfügen dabei über den entscheidenden Vorteil, dass sie als vergleichsweise finanzstarke Parteien in weiten Teilen sogar einen Professionalisierungsvorsprung haben.
00:10:06: Dies betrifft unter anderem die Kapazitäten und Ressourcen zur Herstellung professioneller Videos.
00:10:12: Es sei hier nur darauf hingewiesen, dass zum Beispiel auf dem Parteikanälen auf YouTube regelmäßig die offiziellen Wahlwerbespots, die ebenfalls im lignaren Fernsehen ausgestrahlt werden, die größten Reichweiten erzielen.
00:10:24: Diese Synergieeffekte können auch für TikTok genutzt werden.
00:10:27: Dass die Parteien der demokratischen Mitte den Wettbewerb auf Social Media hoffnungslos verloren haben, erweist sich in der Gesamtschau somit als Klischee.
00:10:36: Dagegen ließe sich vielleicht einwenden, dass extreme Parteien durch ein besonderes Engagement des politischen Vorfelds, wie Jugendorganisation oder Influencer, einen strategischen Vorteil auf Social Media hätten.
00:10:48: Dem können allerdings die Mitgliedszahlen der Jugendorganisation der Parteien der demokratischen Mitte entgegengehalten werden.
00:10:55: In den Mitglieder starken Jugendorganisationen schlummert ein erhebliches Potenzial politische Debatten auch digital auf jungen Plattformen durch parteipolitische Lösungsvorschläge mitzugestalten.
00:11:06: Parteinahe Influencer sind zudem längst auch in der demokratischen Mitte zu finden.
00:11:12: Zur Gesamtbeurteilung des Potenzials von TikTok gehört, dass es aufgrund mangelhafter Offenheit für Wissenschaft und Forschung und fehlender Transparenzregeln für die Funktionsweise des TikTok-Algorithmus für die Verwendung von Daten durch die Plattform und für staatliche Einflussnahmen lediglich Anhaltspunkte gibt und wenig gesicherte Erkenntnisse zugänglich sind.
00:11:32: Daher ist unbedingt zu empfehlen, die App auf einem Gerät getrennt von sensiblen Daten zu verwenden.
00:11:37: Wünschenswert ist deshalb, dass demokratische Parteien ihre digitalen Beiträge nicht auf geschlossenen Plattformen aus den USA oder China begrenzen, sondern sie zumindest parallel in offenen Plattformen aus der Europäischen Union ausspielen.
00:11:51: So bleibt abschließend nur festzuhalten, Dem Parteien schreibt das Parteingesetz im Paragraf eins die Aufgabe zu, dass sie unter anderem auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluss nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen und die aktive Teilnahme der Bürger im politischen Leben fördern sollen.
00:12:10: Es ist angezeigt, dass sie dies auch in digitalen Teilöffentlichkeiten tun, besonders dort, wo junge Menschen ihre Zeit verbringen.
00:12:22: Geboren, in Groß-Gerau, promovierter und habilitierter Kommunikationswissenschaftler.
00:12:29: Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems, Digidemo, Ludwig-Maximilians-Universität München.
00:12:39: Gelesen von Sören Hahn.
00:12:42: Die politische Meinung.
00:12:43: Neutral geht gar nicht.
00:12:49: Ein Audio-Podcast der Konrad-Adenauer-Stiftung.