In Vergnügungs- und Empörungsschleifen gefangen

00:00:01: In Vergnügungs- und Empörungsschleifen gefangen.

00:00:04: Die Anreizmechanismen der sozialen Medien.

00:00:07: Von Christian Montag.

00:00:10: Die Entwicklung von sozialen Medien stellt ein außergewöhnliches Erfolgsmodell dar.

00:00:14: Bedenkt man, dass die Gründung von Facebook erst rund zwanzig Jahre zurückliegt, so ist es erstaunlich, aktuell mehr als drei Milliarden Menschen auf den von Meter betriebenen Plattformen zu finden.

00:00:27: Weltweit sind über fünf Milliarden Nutzende auf den sozialen Medien unterwegs.

00:00:32: Der Markt wird mittlerweile von amerikanischen und chinesischen Unternehmen beherrscht.

00:00:37: Der Erfolg der sozialen Medien ist auf viele Faktoren zurückzuführen.

00:00:41: Aus medienpsychologischer Sicht könnte man die Nutzen- und Gratifikationstheorie heranziehen, die besagt, dass die Nutzung von Technologien im Idealfall mit Anerkennung der Erfüllung von menschlichen Grundbedürfnissen einhergeht.

00:00:55: Bleibt eine solche Gratifikation aus, so wird sich die neue Technologie wahrscheinlich nicht durchsetzen.

00:01:01: Tatsächlich scheint die Nutzung der sozialen Medien sogar mehrere Grundbedürfnisse zu stellen, was ihren Erfolg zumindest teilweise erklärt.

00:01:10: So wird angenommen, dass Menschen bei Nutzung von sozialen Medien eine gewisse hedonische Gratifikation erfahren, die mit dem sich einstellenden Vergnügen durch den Besuch der Plattform einhergeht.

00:01:21: Damit lässt sich vielleicht auch nachvollziehen, warum ausgerechnet Katzenvideos viral gehen.

00:01:26: Jenseits einer hedonistischen Form der Gratifikation werden in der Literatur eine soziale Form der Gratifikation und eine utilitäre Form der Gratifikation beschrieben.

00:01:37: Die soziale Form hat direkt mit dem Begriff der sozialen Medien zu tun und zielt damit logischerweise auf die Befriedigung der sozialen Grundbedürfnisse der Nutzenden ab.

00:01:48: Evolutionsbedingt sind wir Menschen mit sozialen Grundbedürfnissen ausgestattet, die sich unter anderem darin äußern, dass wir psychischen Schmerz bei Einsamkeit erfahren.

00:01:57: Wir sind als Spezies in Gruppen stärker als allein und besonders in Hinblick auf die Erziehung der Nachkommen, aber auch in Beziehungen zu Freunden und Verwandten für sorgliches Verhalten zeigen.

00:02:09: Soziale Medien als Machtwerkzeug.

00:02:13: Soziale Medien ermöglichen es weiterhin soziales Kapital aufzubauen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

00:02:19: Das ist nützlich und hierfür sind die sozialen Medien ein Werkzeug, utilitäre Gratifikation.

00:02:26: Richtig ist jedoch auch, dass der Begriff soziale Medien aufgrund der bekannten Auswüchse auf dem Plattform, Hassrede und Desinformationskampagnen heute oftmals durchaus sarkastisch betrachtet wird.

00:02:39: Ah, soziale Medien.

00:02:41: Übrigens hat die Flut an Fake News sicherlich auch mit der utilitären Funktion der sozialen Medien zu tun, weil soziale Medien auch als Werkzeug zur politischen Beeinflussung und damit als Machtwerkzeug eingesetzt werden können.

00:02:55: Dies alles geschieht vor dem Hintergrund einer immer weniger regulierten Landschaft sozialer Medien.

00:03:00: In den USA wurde die Moderation von Online-Inhalten nach Wahl von US-Präsident Donald Trump Anfang November, so gut wie abgeschafft.

00:03:10: In Europa ist die Situation aufgrund der EU-Verordnung Digital Services Act, DSA, etwas besser.

00:03:18: Bis jetzt hält sich die Industrie in der Europäischen Union in Teilen an die Moderation von Inhalten auf den sozialen Medien, obwohl im Falle der Plattform X die Frage im Raum steht, warum sie durch die Europäische Union im Rahmen des Digital Services Act nicht deutlich stärker reguliert wird.

00:03:34: Die Plattform ist nach der Übernahme durch Elon Musk offenkundig zu einer Propaganda-Plattform geworden, die regelmäßig mit Hassrede geflutet wird.

00:03:43: Wie gelingt es der Industrie hinter den sozialen Medien trotz ihrer Schattenseiten, die Nutzenden so stark in ihren Band zu ziehen?

00:03:51: Warum nehmen viele Nutzende in jeder freien Minute ihr Smartphone zur Hand, um von den Plattformen eingesogen zu werden?

00:03:59: Um Antworten auf diese Fragen zu finden, muss man sich mit dem Datengeschäftsmodell und mit dem sogenannten AB-Testen auseinandersetzen.

00:04:08: Wie hinlänglich bekannt, zahlen die Nutzenden der sozialen Medien üblicherweise nicht mit Geld für die Nutzungsrechte, sondern mit langen Verwaltzeiten.

00:04:17: Dies ist aus Sicht der Industrie wichtig, weil die Nutzenden durch längere Verwaltzeiten mehr digitale Fußabdrücke hinterlassen.

00:04:24: Auf der Basis dieser Daten schätzt die Industrie ein, welche Eigenschaften und Vorlieben die Plattformnutzer haben.

00:04:31: Diese Erkenntnisse werden verwendet, um die Nutzerinnen und Nutzer auf dem Plattform personalisierten Werbebotschaften auszusetzen, die nicht nur die Klick- und Kaufraten erhöhen können, sondern auch über das Potenzial verfügen, die Personen politisch zu beeinflussen.

00:04:46: Eine unabhängige Studie zeigte beispielsweise, dass eine auf die Persönlichkeit der nutzenden zugeschnittene politische Werbebotschaft die Bereitschaft erhöht, die beworbene Partei zu wählen.

00:04:58: Überwachungskapitalismus unter Aufmerksamkeitsökonomie.

00:05:02: Längere Verwaltseiten bedeuten zudem für viele Nutzende auch ein Plus an Expositionen mit solchen personalisierten Botschaften.

00:05:09: Shoshana Zuboff spricht im Kontext dieses Geschäftsmodells passenderweise von einem Überwachungskapitalismus.

00:05:16: Die Nutzenden werden ausspioniert, um mit den daraus resultierenden Informationen einträgliche Geschäfte zu machen.

00:05:23: Der Überwachungskapitalismus trifft also auf die Aufmerksamkeitsökonomie, ein Begriff, der vermutlich geläufiger ist.

00:05:30: Die aktuellen Verwaltseiten der deutschen Bevölkerung auf den Plattformen der sozialen Medien liegt bei über neunzig Minuten täglich.

00:05:38: Dies verdeutlicht, welche wichtige Funktion die sozialen Medien heute als Kommunikationsplattform einnehmen.

00:05:44: Unter sozialen Medien versteht man ebenfalls die zahlreichen Messenger-Applikationen wie WhatsApp und Signal.

00:05:50: da sie zentrale Elemente der sozialen Medien beinhalten.

00:05:54: Dazu gehört, dass sich eine Person mit einer weiteren Person oder auch mit vielen Menschen unterhalten bzw.

00:06:00: eigene Inhalte transportieren kann und dies zeitlich synchron und asynchron erledigt.

00:06:06: Die heutigen Plattformen sind in ihrer jetzigen Form nicht vom Himmel gefallen, sondern haben vor dem Hintergrund des bereits erläuterten Datengeschäftsmodell über die Jahre hinweg ihr Erscheinungsbild stark verändert.

00:06:19: Zentrales Hilfsmittel für die Gestaltung der sozialen Medien ist das sogenannte AB-Testen.

00:06:24: Es zielt darauf ab, neue Design-Elemente zu testen, denen die Nutzenden auf den Plattformen ausgesetzt werden.

00:06:31: Beispielsweise hat Facebook bereits nach der Gründung darüber nachgedacht, als Zentrales Design-Element die Personalisierung der Botschaften im Newsfeed zu realisieren, um für die Nutzende das Ziel einer New York Times of You zu erreichen.

00:06:46: AB-Testen und seine Auswirkungen auf das Nutzerverhalten.

00:06:51: Die Logik hinter dem Konzept lautet, dass der Feed für viele Nutzer einfach zu langweilig ist, wenn keine Personalisierung stattfindet.

00:06:58: Die Nutzenden sehen in diesem Szenario einfach zu viele Botschaften, die sie nicht interessieren und verlassen die Plattform.

00:07:04: Durch das Studium der digitalen Fußabdrücke der Nutzenden mit Hilfe von künstlicher Intelligenz kann der Nutzenden nun zumeist das gezeigt werden, was sie besonders interessiert.

00:07:15: AB-Testen heißt also in diesem Fall zusammengefasst, dass die Industrie untersucht, wie sich eine Plattformvariante A mit Personalisierung versus Plattformvariante B ohne Personalisierung auf das Nutzerverhalten auswirkt.

00:07:29: Wenig überraschend wird Variante A zu mehr Engagement auf der Plattform und längeren Verwaltseiten als Variante B führen, auch wenn das für unabhängige Forschende von außen schwer zu messen ist.

00:07:39: Die Schnittstellen zu den sozialen Medien sind aktuell meist verschlossen.

00:07:44: Beim AB-Testen werden also unterschiedliche Varianten der sozialen Medien vergleichend getestet und dann gemessen, welche sich besonders gut auf das Datengeschätzmodell auswirken.

00:07:55: Die Design-Elemente, die damit erfolgreich getestet worden sind, gehören mittlerweile zum Standard auf den sozialen Medien und sind den meisten Lesenden bekannt.

00:08:04: Der Like-Button funktioniert ebenso als soziale Belohnung, wie er Aufstoß über die Vorlieben der Nutzenden gibt.

00:08:10: Durch das Endless Scrolling wurde das natürliche Ende auf dem Plattformen abgeschafft.

00:08:16: Es gibt immer noch mehr zu lesen oder zu sehen.

00:08:18: Und die Lesebestätigung auf den Messenger-Kanälen entfaltet ihre Wirkung über sozialen Druck und lässt schneller auf Antworten reagieren.

00:08:26: Die Entwicklung der sozialen Medien über die Jahre hinweg kann somit auch mit dem Begriff Persuasive Design beschrieben werden.

00:08:33: Durch das Design der sozialen Medien werden Menschen in Richtung der erwünschten Verhaltensweisen der Industrie hinter dem Plattform und den Werbekunden geschubst.

00:08:42: Das lässt sich auch überzeugend an den Push-Notifikationen illustrieren, die nach Eingang auf dem Smartphone bei Menschen, die Angst etwas zu versäumen, Fear of missing out, FOMO auslösen können.

00:08:54: Manche einer denkt, was reden die Leute online über mich?

00:08:58: Über die provozierten negativen Emotionen?

00:09:00: werden die Nutzenden zum Plattformcheck verleitet, um ihre negativen Emotionen wieder loszuwerden.

00:09:07: Von TikTok bis LinkedIn.

00:09:09: Sind alle Plattformen gleich?

00:09:12: Wir sprechen gerne von den sozialen Medien.

00:09:15: Das ist insofern nicht unberechtigt, als dass die meisten Plattform mit dem dargestellten Geschäftsmodell arbeiten.

00:09:22: Dieses entpuppt sich als großes Problem.

00:09:25: So lange eine Industrie im Kern darauf abzielt, Onlinezeiten zu verlängern, wird es keine gesünderen Plattformen geben.

00:09:32: Gegen die Vereinheitlichung des Begriffs soziale Medien spricht das Ergebnis von Forschungsarbeiten, die nachweisen, dass bestimmte Plattformen einen stärkeren Sog als andere Plattformen entfalten.

00:09:44: So zeigte sich etwa im direkten Vergleich der Plattformen WhatsApp, Instagram, Facebook und Snapchat, dass die nutzenden beispielsweise im Hinblick auf Instagram über ausgeprägte Suchttendenzen als auf Facebook berichteten.

00:09:58: Eine neuere Arbeit weist darauf hin, dass besonders TikTok einen starken Sog entfalten kann.

00:10:04: Dies ist meines Erachtens auch auf die Unterschiede im Plattform Design zurückzuführen.

00:10:09: Was macht TikTok gerade für viele junge Menschen so attraktiv?

00:10:13: Dem Konzern ByteDance ist mit TikTok und der chinesischen Schwester Daoyin die Entwicklung einer Plattform gelungen, die scheinbar perfekt zum Smartphone-Zeitalter passt.

00:10:24: Kurzvideos, die keine lange Aufmerksamkeitsspanne verlangen, werden passenderweise im Hochformat für das Smartphone produziert.

00:10:31: Die ist findet gepaart mit einer gut funktionierenden Recommendation-Engine statt, die selbst neu nutzenden, sehr schnell Kurzvideos empfiehlt, die bei ihnen verfangen.

00:10:41: Vor dem Hintergrund der hier beschriebenen Mechanismen stellt sich die Frage, wie soziale Medien designt und künftig bezahlt werden sollten.

00:10:48: Gerade im Hinblick auf das Design der sozialen Medien ist es ein schmaler Grad, den Nutzenden einerseits attraktive und anwendungsfreundliche Plattformen zu präsentieren – die Personalisierung der Botschaften kann beispielsweise auch kognitiv entlasten – und die Menschen andererseits nicht zu sehr in den Bann zu ziehen.

00:11:06: Gerade das aktuelle Geschäftsmodell belohnt die Verbreitung von Desinformationskampagnen, da besonders emotional negativ getönte Botschaften auffallend oft geteilt werden und Sichtbarkeit erfahren.

00:11:18: Viel intensiver muss neben den Regulierungsmaßnahmen der Europäischen Kommission für die sozialen Medien, gerade auch in puncto suchterzeugendes Design, inhaltlich über Alternativen der Bezahlung nachgedacht werden.

00:11:30: So gibt es Überlegungen zu einer öffentlich-rechtlichen Variante sozialer Medien, die jedoch das Design betreffend vermutlich völlig anders aussehen würde als die aktuellen Plattform.

00:11:40: Eine solche Plattform müsste vorzugsweise auf europäischer Ebene entwickelt und implementiert werden, um zu einem Schwergewicht werden zu können.

00:11:49: Nationale Alleingänge werden dagegen nicht hilfreich sein.

00:11:52: Weiterhin sollte darüber nachgedacht werden, ob die Kommunikation über verschiedene Plattformen mit regulatorischer Unterstützung verbessert wird, damit man mit seinen sozialen Grafen, dem eigenen Personenverbund, auch Plattformen unabhängig in Kontakt bleiben kann.

00:12:07: Im Mobiltelefongeschäft ist es beispielsweise problemlos möglich, dass sich Kunden unterschiedliche Anbieter gegenseitig anrufen können.

00:12:14: So würden diejenigen Nutzenden von gesünderen Plattformen, die aber vielleicht bezahlt werden müssen, immer noch mit allen Freunden und Bekannten auf anderen Plattformen in Kontakt bleiben können.

00:12:26: In einer Studie hielten wir deswegen fest, dass es an der Zeit ist, die sozialen Medien neu zu starten.

00:12:32: Jenseits der ersten hier präsentierten Ideen stellt sich aber weiterhin die Frage, Die politische Meinung.

00:13:06: Neutral geht gar nicht.

00:13:11: Ein Audio-Podcast der Konrad Adenauer Stiftung.